Fraktionsvize Nils Schmid: „Jetzt zeigt sich deutlich, dass jeder, der von Ministerin Schick Verbesserungen an den Schulen erwartet hat, enttäuscht werden wird“
Bildungssprecher Frank Mentrup: „Es geht weiter wie gehabt: hoher Unterrichtsausfall, zu wenig Krankheitsstellvertretungen und weniger Mittel für Ergänzungsbereich und Ganztagsangebote“
Die SPD-Landtagsfraktion erwartet Kürzungen im Bildungsbereich. Finanzminister Stächele habe jetzt nicht nur offengelegt, dass nach der Landtagswahl weitere Einsparungen geplant seien. Auch die neuen Zahlen zeigten bereits, dass die Landesregierung die Zu-sage von Ministerpräsident Mappus, in der Bildung nicht zu sparen, in den Wind schreibe. „Offenbar schert es die Landesregierung nicht, dass der Ministerpräsident jetzt Wortbruch begeht“, erklärt Nils Schmid, Fraktionsvizechef und designierter Spitzenkandidat der SPD. Und: „Der Landesregierung ist es wohl entgangen, mit welchen Baustellen die Schulen zu kämpfen haben.“ Das mache zudem deutlich, dass die Kultusministerin ihren ganzen Ehrgeiz nicht dafür aufwende, die Schulsituation zu verbessern, sondern sie sehe ihre Aufgabe lediglich darin, als große Kommunikatorin zu glänzen. „Jetzt zeigt sich, dass jeder, der von Frau Schick Verbesserungen an den Schulen erwartet hat, enttäuscht werden wird“, erklärt Schmid. Und: „Wenn eine Kultusministerin die Kommunikation als Hauptgeschäft verfolgt, um ihre Partei besonders gut in die Öffentlichkeit zu bringen, wird sie für die Schulen kaum etwas erreichen.“ Dies werde daran erkennbar, dass die Man-gelwirtschaft an den Schulen auch im neuen Schuljahr weitergehen werde. „Die Kultusministerin lässt es weiterhin zu, dass zu viele Schulstunden ausfallen“, sagt der bildungs-politische Fraktionssprecher Frank Mentrup.
Schmid und Mentrup werfen der Landesregierung vor allem vor, das größte Problem an den Schulen kaum anzugehen: den engen Zusammenhang von Bildungschancen und sozialer Herkunft. Er wurde Baden-Württemberg erst jüngst von der Studie „Bildungsmonitor 2010“ erneut bescheinigt. Wer im Land das Pech habe, aus bildungsfernen Familien zu kommen, müsse sich in der Schule mit deutlich weniger Chancen auf einen guten Abschluss begnügen. „Hier zeigen sich die Folgen einer ideologischen Bildungspolitik, so-lange die Landesregierung das dreigliedrige Schulsystem ohne Rücksicht auf Verluste verteidigt“, erklärt Schmid.
Die SPD verweist auf die jetzt von Kultusministerin Schick vorgelegten Zahlen zur Lehrereinstellung, mit denen eine Anfrage der Fraktion (Drucksache 14/6751) beantwortet wurde. Nach den Berechnungen der SPD bleibe es bei einem viel zu hohen Ausfall an Schulstunden, kritisiert Mentrup. Besonders bedenklich sei, dass trotz der Mappus-Versprechungen die Mittel für Krankheitsstellvertretungen sowie für Lehrbeauftragte in den Jahren 2010 und 2011 gekürzt wurden. Auch der für die individuelle Förderung so wichtige Ergänzungsbereich müsse im neuen Schuljahr wieder spürbar Federn lassen. „Trotz Ministerin Schick geht es weiter wie gehabt: hoher Unterrichtsausfall, zu wenig Krankheitsstellvertretungen und weniger Mittel für den Ergänzungsbereich und Ganztagsangebote.“
Lehrereinstellung 2010 weit unter Bedarf
Im Jahr 2010 werden nach Angaben des Kultusministeriums 5.500 Lehrkräfte neu eingestellt (vgl. Anlage 1). Bei einer Bewerberzahl (Neu- und Altbewerber) von 9.900 entspricht dies einer Einstellungsquote von 55,6 Prozent. Die SPD relativiert diese Rechnung allerdings und sieht hinter ihr vor allem die PR-Aktivitäten der Kultusministerin.
1. Neueinstellung von Lehrkräften
Für eine genaue Rechnung, wie sich die Neueinstellungen an den Schulen auswirken, müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden:
- Neueinstellung insgesamt 5.500 Deputate
Abzüglich:
- Deputate für die im neuen Schuljahr angekündigte
Absenkung des Klassenteilers in der Grundschule
von 31 auf 28 bzw. 25 Schülern 810 Deputate
- Mehrbedarf für die Senkung des Klassenteilers
an den weiterführenden Schularten von
32 auf 31 (Anlage 2) 1.180 Deputate
- Ersatzbedarf infolge von Pensionierungen,
Beurlaubungen etc.
für 2010 (Anlage 3) 3.370 Deputate
Ergebnis:
- Neueinstellung nach Abzügen 140 Deputate
„Ich bin gespannt, ob Frau Schick sich traut, diese Zahl als Verbesserung der Unterrichtsversorgung an den Schulen im Land zu verkaufen“, sagt Mentrup.
2. Weiterhin Stundenausfall wegen fehlenden Krankheitsvertretern
Bei den fest installierten Krankheitsstellvertretern sind 1.266 Stellen an den Schulen vorhanden. Damit liegt die Quote bei knapp 100.000 Lehrkräften in den öffentlichen allgemein bildenden Schulen bei gerade einmal 1,3 Prozent. „Dass dieser erschreckend ge-ringe Anteil für die Schulen nicht ausreichen kann und zu vielen Stundenausfällen führt, liegt klar auf der Hand“, sagt Mentrup. Er bekräftigt die SPD-Forderung, die Zahl der Krankheitsstellvertreter um 400 auf 1.666 zu erhöhen, also um 33 Prozent: „Damit könnten zwar noch nicht alle Unterrichtsausfälle behoben werden, aber die mangelhafte Situation im Land würde sich spürbar verbessern.“
Darüber hinaus zeigt sich jetzt, dass die Landesregierung die Mittel für Krankheitsstellvertreter empfindlich gekürzt habe, sagt Mentrup. Während im Staatshaushaltsplan für 2009 hierfür noch 16 Millionen Euro zur Verfügung standen, wurden die Mittel für 2010 auf 13,45 und für 2011 auf 13,2 Millionen Euro etatisiert. Dies hält Mentrup angesichts der Mappus-Aussagen, vor allem aber angesichts von 1,6 Millionen ausgefallenen Schul-stunden im Schuljahr 2009/10 für „bildungspolitisch völlig verfehlt“. Und: „Die Landesregierung kümmert es offensichtlich wenig, dass die Eltern landauf und landab gegen Unterrichtsausfall protestieren.“ Dieser Ausfall bleibe auch im neuen Schuljahr eine der Großbaustellen der Bildungspolitik.
Ganztagsschule: Förderung durch Land bleibt Trauerspiel
Schmerzhafte Einschnitte soll es auch bei den Mitteln für die Lehrbeauftragten geben. Mit diesem Geld können die Schulen externe Fachkräfte für Projekte und Förderangebote finanzieren. Die Landesregierung kürzte die Ausgaben im Haushalt 2010/11 von drei auf zwei Millionen Euro pro Jahr, also um ein Drittel. Dies sei zwar eigentlich eine geringe finanzielle Größenordnung. Doch die Kürzung treffe eine Position, von der ganze Schulkonzepte abhingen, sagt Mentrup. Zahlreiche Schulleiter hätten bereits signalisiert, dass Arbeitsgemeinschaften sowie Projekte im neuen Schuljahr nicht mehr angeboten werden könnten. Er weist darauf hin, dass insbesondere Ganztagsschulen unter dieser Kürzung zu leiden hätten - nachdem sie ohnehin seit Jahren von der Landesregierung völlig unzu-reichend gefördert würden. Schließlich müssten diese Schulen Lehrbeauftragte einsetzen, um die geringe Zahl an Lehrerwochenstunden pro Ganztagsklasse auszugleichen.
Wie angesichts dieser Kürzung etwa ein Gymnasium mit einer einzigen zusätzlichen Lehrerwochenstunde pro Ganztagsklasse ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot anbieten soll, sei das Geheimnis der Landesregierung. Bei den Realschulen und Hauptschulen in offener Form sehe es mit zwei Lehrerwochenstunden pro Ganztagsklasse kaum besser aus. „Dass die Landesregierung dennoch versucht, sich mit dem Ausbau solcher Ganztagesschulen zu schmücken, ist schlichtweg Etikettenschwindel“, sagt Mentrup. Der Bildungsexperte hält es angesichts dieser Tatsache auch für lächerlich, dass die Landesregierung die ehrenamtlichen Jugendbegleiter weiter als „Ergänzung“ bezeichne. „Ohne Jugendbegleiter wären die Ganztagsschulen im Land schon längst gegen die Wand ge-fahren“, unterstreicht Mentrup. „Mit Jugendbegleitern gibt es zwar dem Namen nach Ganztagsschulen, pädagogisch fehlt damit aber ein passendes Konzept.“
Es sei auch kein Wunder, dass es selbst bei solchen nominellen Ganztagsschulen im Land einen dringenden Nachholbedarf gebe und Baden-Württemberg hier deutlich zurückliege. Jetzt räche sich, dass die Landesregierung den Ausbau lange blockiert habe.
Anteil der öffentlichen Ganztagsschulen an allen Schulen im Jahr 2008
Grundschulen Grundschulen Hauptschulen Realschulen Gymnasien
Baden-Württemberg 8,8 Prozent 29,5 Prozent 14,5 Prozent 29,4 Prozent
Bundesdurchschnitt 36,8 40,0 23,8 34,3
Quelle: Kultusministerkonferenz, Allgemeinbildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland – Statistik 2004-2008, vom 30.4.2010
Grundschule: nur wenig Kinder erhalten Vorteile
Die SPD-Fraktion sieht in der von der Landesregierung zum neuen Schuljahr angekündigten Senkung des Klassenteilers in der Grundschule von 31 auf 28 für jahrgangsbezogene Klassen sowie auf 25 für jahrgangsübergreifende Klassen zwar ebenso die richtige Richtung wie die Ausweitung der Pädagogischen Assistenten auf die Grundschulen. Allerdings habe die Kultusministerin ihrer PR-Neigung hier besonders nachgegeben, wobei die Vorteile für die Schulart in keinem Verhältnis zur Vermarktung stünden.
Mentrup weist darauf hin, dass im Schuljahr 2009/10 insgesamt 14,7 Prozent aller Grundschulklassen zwischen 26 und 33 Schülern hatten: knapp 2.750. Profitieren von der Senkung des Klassenteilers auf 28 werden nach Schätzung Mentrups aber nur etwa fünf Prozent dieser Klassen, also 138. „Man kann der Kultusministerin für diesen tatsächlich enormen Fortschritt nur gratulieren“, sagt Mentrup ironisch. Von einer wirklichen Verbesserung für die Grundschulen könne aber keine Rede sein. Das gelte auch für die Pädagogischen Assistenten. Die Landesregierung will 230 solcher Assistenten im neuen Schuljahr an den Grundschulen einsetzen. Umgerechnet auf rund 2.500 öffentliche Grundschulen im Land erhalte nicht einmal jede zehnte von ihnen einen Assistenten. Damit sei nicht einmal gewährleistet, dass die stark belasteten Brennpunktschulen ent-lastet werden, erklärt Mentrup. Und: „Die Landesregierung ist in der Bildungspolitik gerade noch zu einem Klein-Klein bereit, während sie die großen Probleme nicht einmal anpackt.“
Auch bei fast allen anderen Schularten wie den beruflichen Schulen – hier gibt es in Wirklichkeit 40 neue Stellen bei einem strukturellen Defizit von 1.400 –, den Realschulen und Sonderschulen blieben durchgreifende Verbesserungen aus. Damit werde im neuen Schuljahr der unbefriedigende Status quo außer beim Thema Klassenteiler nicht verbessert. Mentrup appelliert deshalb an die Eltern: „Die Mangelwirtschaft in Schulen darf nicht hingenommen werden.“
Dr. Roland Peter, Pressesprecher